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Unmittelbare räumliche Nähe bei Windenergieanlagen – Machtwort des BGH
Seit 2016 stellt sich diese Frage jedoch auch für Windenergieanlagen, nämlich im Zusammenhang mit der Vergütungskürzung bei negativen Strompreisen (wir berichteten hier). Mit heute veröffentlichtem Urteil vom 14.07.2020 (XIII ZR 12/19) hat nun der BGH ein bemerkenswertes Machtwort gesprochen.
Hintergrund: Anlagenaddition bei negativen Strompreisen
Nach § 51 Abs. 1 EEG 2017 verringert sich die EEG-Förderung auf null, wenn in sechs aufeinanderfolgenden Stunden der Strompreis an der Strombörse negativ ist. Dies gilt für alle Anlagen mit Inbetriebnahme ab 01.01.2016. Davon ausgenommen sind nur Windenergieanlagen mit einer Leistung von weniger als 3 MW und sonstige Anlagen mit einer Leistung von weniger als 500 kW.
Allerdings verweist die Norm auf eine entsprechende Anwendung von § 24 Abs. 1 EEG 2017. Danach ist die Leistung mehrerer Anlagen u.a. dann zu addieren, wenn sie innerhalb von zwölf aufeinanderfolgenden Kalendermonaten in Betrieb genommen worden sind und sie sich auf demselben Grundstück, demselben Gebäude, demselben Betriebsgelände oder sonst in unmittelbarer räumlicher Nähe befinden. Auf demselben Grundstück sind mehrere Anlagen innerhalb eines Windparks nur in den seltensten Fällen belegen. Die spannende Frage lautet also: Wann ist eine unmittelbare räumliche Nähe bei Windenergieanlagen gegeben?
BGH: Unmittelbare räumliche Nähe eigentlich immer gegeben
Diese Frage lag nunmehr dem BGH zur Entscheidung vor. Kurz zusammengefasst urteilte das höchste deutsche Gericht: Windenergieanlagen in einem gemeinsamen Windpark befinden sich eigentlich immer in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander, und zwar unabhängig von ihrer konkreten Entfernung.
Sachverhalt
In dem vom BGH entschiedenen Sachverhalt ging es um einen Windpark mit insgesamt zehn Anlagen. Diese speisten ihren Strom über ein gemeinsames Einspeiseumspannwerk in das öffentliche Netz ein. Die Anlagen waren von Ende 2015 bis Anfang 2016 von unterschiedlichen, jedoch gesellschaftsrechtlich miteinander verbundenen Betreibern in Betrieb genommen worden. Die Entfernung der streitgegenständlichen Anlage zu einem anderen, bereits Ende 2015 in Betrieb genommenen Windrad betrug 614 m. Die beklagte Netzbetreiberin addierte die installierte Leistung beider Anlagen, mit der Folge, dass die 3-MW-Grenze überschritten war. Die Netzbetreiberin kürzte daraufhin die Vergütung der streitgegenständlichen Anlage während der Zeiten negativer Strompreise auf null.
Die Vorinstanzen hatten dem Anlagenbetreiber Recht gegeben, da sie die Voraussetzungen einer unmittelbaren räumlichen Nähe nicht gegeben sahen. Die Gerichte hatten dabei – entsprechend den Empfehlungen der Clearingstelle EEG (abrufbar hier und hier) – eine wertende Betrachtung des Einzelfalls unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien vorgenommen. Insbesondere der Abstand von mehr als 600 m sprach nach ihrer Auffassung bereits gegen eine „unmittelbare räumliche Nähe“. Außerdem seien auch keine Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Anlagensplitting erkennbar gewesen.
Zusammenfassung bei gemeinsamem Netzverknüpfungspunkt
Dieser Auslegung erteilte der BGH eine klare Absage. Auf Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Anlagenkonstellation komme es ebenso wenig an wie auf absolute Abstandsgrenzen. Vielmehr stützt sich der BGH darauf, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung verschiedene Indizien aufgezählt habe, die auf eine technische und organisatorische Zusammengehörigkeit von Anlagen abstellen. Darin komme zum Ausdruck, dass es in erster Linie um eine funktionale Nähebeziehung gehe.
Als entscheidendes Kriterium für das Vorliegen einer „unmittelbaren räumlichen Nähe“ stellt der BGH daher auf die Verbindung räumlich benachbarter Anlagen über gemeinsame Infrastruktureinrichtungen vor dem Netzanschluss ab. Mit anderen Worten: Die gemeinsame Nutzung eines Netzverknüpfungspunkts durch mehrere Windenergieanlagen führt damit in aller Regel zur Anlagenaddition nach § 24 Abs. 1 EEG 2017. Eine direkte Nachbarschaft der Anlagen sei dagegen nicht Voraussetzung für die Zusammenfassung. Gleiches gelte für einen gemeinsamen Projektierungshintergrund oder die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit der Betreiber.
Addition auch mit Anlagen vor 2016
Im Urteil kommt deutlich zum Ausdruck – und dies ist das einzig Positive an dieser Entscheidung -, dass die Addition immer nur zulasten der neu hinzukommenden Anlagen wirkt. Damit ist auch in größeren Windparks jedenfalls die zuerst in Betrieb genommene Anlagen nicht von der Zusammenfassung betroffen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie weniger als 3 MW installierte Leistung hat.
Durchaus überraschend hat der BGH aber auch Anlagen mit Inbetriebnahme vor dem 01.01.2016 in die Zusammenfassung einbezogen. Im Streitfall wurde daher die Leistung der Ende 2015 in Betrieb genommenen Anlage addiert. Auf diese Anlage findet selbst die Regelung des § 51 Abs. 1 EEG 2017 allerdings überhaupt keine Anwendung. Dies hatte die Clearingstelle EEG KWKG in ihrer erst kürzlich veröffentlichten Empfehlung 2019/18 vom 01.09.2020 (abrufbar hier) noch genau gegenteilig beurteilt.
Kritik und Ausblick
Das Urteil des BGH ist im Ergebnis ein schwerer Schlag für die Windbranche. Denn letztlich bedeutet dies nichts anderes, als dass die Vergütungskürzung bei negativen Strompreisen in fast jedem ab 2016 errichteten oder erweiterten Windpark zuschlagen dürfte. Das Kriterium der unmittelbaren räumlichen Nähe wird dadurch völlig ausgehöhlt und – gegen den Wortlaut – durch ein funktionales Kriterium ersetzt.
Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Rechtsprechung dürfte im Zuge der Novelle zum EEG 2021 sogar noch zunehmen. Nach dem Willen der Entwurfsverfasser soll die Förderung künftig bereits dann auf null gekürzt werden, wenn die Strompreise in 15 aufeinanderfolgenden Minuten negativ sind (wir berichteten hier).
Kehrseite der Medaille könnte dagegen möglicherweise sein, dass auch für die Eigenversorgung in größeren Windparks nur die anteilige EEG-Umlage anfällt. Voraussetzung hierfür ist u.a. ein unmittelbarer räumlicher Zusammenhang zwischen Stromerzeugungsanlage und Stromverbraucher. Denkbar erscheint nun eine Eigenversorgung verschiedener Anlagen hinter demselben Netzverknüpfungspunkt. Allerdings bezog sich die BGH-Rechtsprechung auf den Begriff der „Nähe“ anstelle des „Zusammenhangs“. Ob dies ohne weiteres übertragbar ist, wird sich erst noch klären müssen.
- Quelle:
- prometheus Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
- Autor:
- Pressestelle
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