Meldung von Windmesse.de
Zum Branchenprofil von
Wismarer Appell – (Fast) Alle gegen Gabriel
Seit Jahren schon taucht die Forderung in regelmäßigen Abständen immer wieder auf: Der Norden müsse sich endlich zusammenschließen und mit geeinter Stimme seine Meinung kundtun. Nur so könne man gegen die etablierte Lobby in Berlin, bestehend aus Atom- und Kohle-Befürwortern und unterstützt durch Bundesländer wie Bayern, ankommen. Allerdings verhallte die Aufforderung wieder und wieder ungehört. Lange dominierten Einzelinteressen die Windbranche, lange war sich die Windindustrie ihrer Macht nicht bewusst.
Erst in den letzten Jahren hat sich dies geändert, denn die Argumente pro Windstrom sind mittlerweile nicht mehr wegzudiskutieren. Immer mehr Menschen finden zudem in dieser Industrie einen Arbeitsplatz, was letztlich auch zu einem Umdenken in der Politik geführt hat, die erste gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht hat. Und seitdem wird auch die Stimme der Branche selbst immer lauter.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass am Montag ein breites Bündnis aus dem Norden vor die Presse trat, um die Unterzeichnung des 'Wismarer Appells' zu verkünden. Darin fordern die Ministerpräsidenten der Nord-Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern Bundesumweltminister Sigmar Gabriel auf, die Energiewende nicht auszubremsen und wichtige Veränderungen im EEG umzusetzen: „Von entscheidender Bedeutung ist hierbei der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien, insbesondere der Windenergie an Land und auf See. Er bietet zudem große wirtschaftliche Entwicklungschancen und langfristig Preisstabilität im Energiesektor“, heißt es in dem Papier.
Unterstützt werden die Politiker dabei vom Arbeitgeberverband Nordmetall, der Gewerkschaft IG Metall Küste und der Windindustrie, etwa in Form des Bundesverbandes BWE und der Arbeitsgemeinschaft Offshore-Windenergie (AGOW). Deren Geschäftsführer Uwe Knickrehm betont die Gefahr, die bei zu kurzsichtiger Planung droht: „Ein mehrjähriger Stopp beim Ausbau („Fadenriss“) wird zu höheren Preisen bei den angestrebten Ausschreibungen führen und Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie gefährden.“
Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan griff das Thema Arbeitsplätze gegenüber dem Hamburger Abendblatt ebenfalls auf: „Hamburg ist in den letzten Jahren zur Windkrafthauptstadt geworden, tausende Arbeitsplätze hängen an diesem Wirtschaftszweig. Windkraft ist die günstigste und wettbewerbfähigste Form unter den Erneuerbaren Energien.“
Neben den wirtschaftlichen Aspekten steht der Umweltschutz im Mittelpunkt der Forderungen. Entsprechend schnell bekam der Appell Unterstützung durch die großen Umweltverbände in Deutschland: Die vorgesehene Ausbaugrenze für erneuerbar erzeugten Strom von 45 Prozent bis 2025 führe zu einem Ausbremsen der erneuerbaren Energien und sei eine Bestandsgarantie für Kohlekraftwerke, so der BUND. „Der Beschluss des Pariser Weltklimagipfels zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad erfordert auch in Deutschland weit größere Anstrengungen in der Klima- und Energiepolitik als bisher. 2015 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, dieser Trend muss gestoppt werden. Die Bundesregierung muss nicht nur dem Ausbau erneuerbarer Energien neuen Schub verleihen, sie muss außerdem dafür sorgen, dass erneuerbare Energien auch im Wärmebereich und im Mobilitätssektor stärker genutzt werden“, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger.
Auch die Deutsche Umwelthilfe DUH und der WWF unterstützen die Forderungen zusammen mit Germanwatch. Ihre Sorge gilt dabei vor allem den Bürgerwindparks, deren Fortbestehen durch das geplante Ausschreibungsverfahren als gefährdet gilt. Die Bürgerwindwindparks sind in Deutschland allerdings bisher ein wichtiges Standbein der Branche, zudem sorgt die Möglichkeit der Bürgerbeteiligung dafür, dass die Akzeptanz der Erneuerbaren in der Bevölkerung sehr hoch ist und sich ein gewisses Umweltbewusstsein durchgesetzt hat. Daher werden die vorgesehenen Ausschreibungen in ihrer bisherigen Form abgelehnt: „Die Erfahrung in anderen Staaten zeigt, dass dieses Verfahren für kleine Investoren wegen hoher Vorlaufkosten und Risikoaufschläge ungeeignet ist“, so die Organisationen, die stattdessen die „De-Minimis-Regel“ bevorzugen, die Projekte unter 18 MW von den Ausschreibungen ausschließt.
Sehr viel schmallippiger zeigte sich dagegen der NABU beim Thema Wismarer Appell: „Der NABU unterstützt den Ausbau der Windkraft grundsätzlich, hat aber anlässlich des heutigen Treffens der Regierungschefs der norddeutschen Bundesländer mit Vertretern der Windenergiebranche und von Gewerkschaften und Arbeitgebern erneut davor gewarnt, Naturschutzbelange als untergeordnet zu Ausbauzielen zu betrachten“, gab NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller zu Protokoll.
Mehr zum Appell war der Pressemeldung nicht zu entnehmen, stattdessen verwies man auf das 'Neue Helgoländer Papier', an dessen Ausarbeitung man im letzten Jahr beteiligt war. Darin sind u.a. Mindestabtände der Anlagen zum Vogelschutz festgehalten. Der Grund für die momentane Zurückhaltung: Der NABU hat aktuell mächtig Ärger mit der Windbranche.
In Nordrhein-Westfalen, immerhin das Bundesland, aus dem die meisten Zulieferer der Branche stammen, hat sich Ende letzten Jahres das „Aktionsbündnis Artenschutz durch Erneuerbare – Diffamierung durch NABU stoppen!“ gegründet. Diesem Bündnis gehören aktuell ca. 70 Unternehmen aus der Windindustrie an, die sich am Verhalten des NABU stören.
Bei der Umweltorganisation ist man nämlich sehr klagefreudig, wenn die Belange des Naturschutzes – und hier vor allem des Vogelschutzes – in Gefahr gesehen werden. Dieser schwelende Streit eskalierte in den vergangenen Wochen vollends: „Der NABU-NRW-Vorsitzende Josef Tumbrinck weigert sich anzuerkennen, dass lokale Klimaschutzprojekte wie Windparks deutlich mehr globalen Nutzen für den Artenschutz bringen, als sie möglichen Schaden verursachen“, kritisiert Johannes Lackmann, Initiator des Bündnisses und Windpionier aus Paderborn, öffentlich. Der NABU schlug zurück und reagierte mit einem offenen Brief in der taz.
Der Streit zwischen Naturschützern und Windbranche ist ebenso alt wie der Industriezweig selbst, allerdings hat man sich in den letzten Jahren zunehmend miteinander arrangiert – um der gemeinsamen Sache der Energiewende wegen. Entsprechend zurückhaltend reagieren daher die Windenergieverbände und -organisationen auf den Streit: Weder der LEE NRW noch der BWE NRW sind Mitglieder des Bündnisses und verweisen stattdessen auf eine Vereinbarkeit von Windenergie und Artenschutz. So wird der Fokus wieder auf den eigentlichen Gegner der Stunde gelenkt: Das Bundeswirtschaftsministerium in Person von Sigmar Gabriel.
- Autor:
- Katrin Radtke
- Email:
- kr@windmesse.de
- Windenergie Wiki:
- Windpark, Offshore, MW, Initiator, Hamburg, Energiewende, BWE, Ausschreibungen