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Bayerische Sonderregel auf dem Prüfstand: Kippt das Verfassungsgericht die 10H-Regelung im Freistaat?
Rückblick: Im letzten bayerischen Landtagswahlkampf 2013 entdeckte Horst Seehofer sein Herz für Windkraftgegner als Wähler. Er versprach, bei seiner Wahl dafür zu sorgen, dass es mit ihm keine „Verspargelung“ der Landschaft geben würde. Als parallel dazu bei der Bundestagswahl deutlich wurde, dass die CSU-Fraktion einen nicht unerheblichen Anteil an der Regierungskoalition stellen würde, setzte Seehofer bei den Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD durch, dass im Bundesbaugesetz eine Öffnungsklausel verankert wurde, die es den einzelnen Bundesländern ermöglicht, eigene Abstandsregelungen einzuführen. Anfang 2014 zog der bayerische Landtag mit der Mehrheit der CSU-Regierung diese Option und führte die 10H-Regelung ein. Kein anderes Bundesland ist in der Zwischenzeit diesem Weg gefolgt, auch wenn zumindest Sachsen zunächst noch mit dem Gedanken spielte.
Bereits bei der Einführung der Regelung kündigte die Opposition in Form von SPD, Grünen und Freien Wählern entsprechende Proteste an und reichte letztlich 2015 Klage beim bayerischen Verfassungsgericht ein. Martin Stümpfig, Sprecher für Energie und Klima der Landtags-Grünen, sagte bereits damals: „Das 10H-Gesetz hat den Kommunen sämtliche bewährten Instrumente der überregionalen Landesplanung weggenommen. Die CSU verstößt damit gegen geltendes Recht und setzt sich über die Meinung dutzender Experten hinweg, die vor der Einführung dieses Gesetzes gewarnt haben. Es ist der Totengräber der Windenergie in Bayern und grob fahrlässig für die Energiewende.“
„Die sture Haltung der Staatsregierung gefährdet die Energiewende in Deutschland und die Stromversorgung in Bayern“, warnte auch Hans-Josef Fell, Kläger und Sprecher der Initiative 'Pro Windkraft'. „Das 10h-Gesetz ist hierfür nur ein exemplarisches Beispiel. Deshalb haben wir uns sehr früh entschlossen, gegen dieses Gesetz zu klagen. Es hebelt die Ziele Bayerns und der Bundesregierung für die Energiewende aus. Wer wie die bayerische Staatsregierung den Ausbau der Erneuerbaren Energien so massiv drosselt und gleichzeitig keine neuen Leitungen will, kann nur eine erneute Laufzeitverlängerung der Atomenergie im Hinterkopf haben, denn so lässt sich der Atomstrom bis 2022 nicht ersetzen.“
Ein Jahr später lassen sich diese Aussagen mit entsprechenden Zahlen untermauern. „Nach dem von der Bayerischen Staatsregierung am 24. Mai 2011 vorgelegten Konzept ‚Energie innovativ‘ sollten im Freistaat bis 2021 insgesamt 1.500 neue Windräder aufgestellt werden. Doch seit 2012 wurden erst 383 neue Anlagen errichtet. Zum Jahresende 2015 produzierten 937 Windkraftanlagen sauberen Strom. Aktuell erleben wir einen massiven Einbruch bei Genehmigungen und Genehmigungsanträgen, so dass das Ziel des Energiekonzepts in weite Ferne rückt. Zugleich zeigt ein Blick nach Ost- und Norddeutschland, dass Bayern leichtfertig auf wichtige Wertschöpfungschancen für seine Kommunen verzichtet, indem der Ausbau der Windenergie zum Erliegen kommt“, so Raimund Kamm, Landesvorsitzender Bundesverband WindEnergie Bayern (siehe Foto, Copyright: BWE).
Eine Anfrage der Grünen beim bayerischen Landtag ergab zudem laut OVB, dass seit Inkrafttreten der Regelung im November 2014 bis Ende September 2015 im ganzen Land Bauanträge für nur sechs Windräder insgesamt eingegangen sind. „Bayern hat sich inzwischen selbst vom Ausbau preiswerter erneuerbarer Energien abgeschnitten“, so Hermann Albers, Präsident des BWE.
Außerdem hat unterdessen die zur Schau gestellte starke Anti-Haltung der Politiker die öffentliche Diskussion vergiftet und für ein Erstarken der Windkraftgegner allerorten gesorgt. Bayerns Energieministerin Ilse Aigner sieht das allerdings ganz anders, wie sie gegenüber dem Bayerischen Rundfunk deutlich macht: „Das hängt mit den Fördermöglichkeiten bei Erneuerbaren Energien zusammen. Das ist das neue EEG 2014, das jetzt auch wirkt.“
Frau Aigner meint also, dass der stockende Ausbau in Binnenländern wie Bayern mit dem Sinken der Förderung für Onshore-Wind zusammen hängt – was aber in anderen Binnenländern wie Sachsen oder Brandenburg nicht zu spüren ist, wie die Ausbauzahlen des BWE belegen.
Vor Gericht ging es am Dienstag vor allem um juristische Feinheiten. Die Kläger argumentierten, dass es keine sachliche Grundlage gebe, warum in Bayern ausgerechnet der Faktor 10 eingeführt worden sei. Zudem habe der bayerische Landtag seinen Gesetzgebungsspielraum überschritten, weil die bayerische Sonderregel eine faktische Entprivilegierung von Windrädern bedeute, was laut Bundesrecht nicht vorgesehen ist.
Josef Zellmeier, parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Fraktion, betont dagegen im Main Echo, dass die Regel „dringend erforderlich gewesen (sei), um für Rechtsfrieden“ in den ländlichen Gemeinden zu sorgen. Martin Burgi, Anwalt der Staatsregierung, geht so weit zu sagen, dass die für die Energiewende so wichtige Beteiligung der Bürger zuvor gar nicht gegeben gewesen sei. 10H hingegen sorgt für „mehr Demokratie von unten, mehr Föderalismus, mehr kommunale Selbstverwaltung“.
Die Selbstverwaltung sieht so aus, dass jede Gemeinde, die ein Windrad bauen möchte, sich nach einer Einzelfallprüfung auch für den Bau entscheiden kann. Der Versuch dazu wurde kürzlich in Pfaffenhofen gestartet, wo alle 19 Gemeinden im Kreis gemeinsam einen Teilflächennutzungsplan erstellt haben. In dieser Positivplanung wurden laut Bayrischem Rundfunk genau die Flächen bezeichnet, auf denen Anlagen errichtet werden dürfen. Problem daran: Jede Gemeinde muss letztlich wieder im Einzelfall entscheiden, ob das Windrad gebaut wird. Ein Verwaltungsprozess, der das Verfahren zum Bau einer Turbine noch mehr verzögert.
Angesichts langer Planungszeiten sind aber schon jetzt erhebliche Anstrengungen erforderlich, um die verlorenen Jahre wieder aufzuholen. Für einige Unternehmen aus der Windindustrie käme dieser Schritt ohnehin zu spät: „Seit der Diskussion um die 10H-Regelung ist die Planung neuer Windkraftstandorte landesweit zum Erliegen gekommen“, machten Gisela Wendling-Lenz und Ulrich Lenz, Gründerin und Gründer des seit über 20 Jahren bestehenden Projektentwicklungsbüros OSTWIND bereits im letzten Jahr deutlich. „Ein mittelständisches Familienunternehmen wie unseres braucht Kontinuität und verlässliche Rahmenbedingungen in der Energiepolitik. An beidem fehlt es derzeit leider in Bayern“, begründete das Unternehmerehepaar die Pläne, ihre Aktivitäten nach Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hessen zu verlagern. Verschiedene andere Planungsbüros sind seitdem gefolgt und haben den Freistaat verlassen bzw. ihre Mitarbeiter an anderen Standorten untergebracht.
"Der ländliche Raum in Bayern, der bayerische Mittelstand und die Zuliefererindustrie können von der Energiewende nur profitieren", macht der BWE deutlich. "Dafür benötigt man aber eine entschlossene Staatsregierung, die die Energiewende voranträgt statt sie zu blockieren“, so Hermann Albers und Raimund Kamm.
Das Verfassungsgericht will sein Urteil zu der Klage am 9.Mai 2016 sprechen. Dann wird die Windenergiebranche erneut gespannt nach München blicken.
- Autor:
- Katrin Radtke
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