Meldung von Becker Büttner Held
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Gut vernetzt ist halb gewonnen
Von Seiten der Politik heißt es, dass es keine 16 Energiewenden in Deutschland geben soll. Vielmehr ist die Energiewende ein nationales Projekt, an dem alle Bundesländer gemeinsam arbeiten müssen. Und doch sind nicht alle Länder gleich: Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sind Industriestandorte mit entsprechend hohem Energiebedarf.
Ausschließlich regionale Erzeugung wird diesen Bedarf in Zukunft nicht decken können. Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg sind Küstenländer. Dadurch profitieren sie direkt von der Nutzung der Energieerzeugung aus Windkraft. Damit das Projekt Energiewende aber bundesweit gelingt, braucht es vor allem eines: Netze. Dies hat die Bundesregierung zwar mittlerweile erkannt und mit verschiedenen Maßnahmen, wie jüngst die Festlegung der Planungszuständigkeiten, Weichen für die Beschleunigung des Netzausbaus gestellt. In Sack und Tüten ist die Energiewende damit aber keineswegs. Neben bauplanungsrechtlichen und regulatorischen Hürden sind es die hohen Investitionskosten, die Kopfzerbrechen bereiten. Um das aktuelle Thema „Netzinfrastruktur“ ging es deshalb auch bei der 18. BBH-Energiekonferenz am 24.4. in Hamburg. Prominente Redner wie der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Olaf Scholz und der Stellvertretende Ministerpräsident und Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz des Landes Niedersachsen Stefan Wenzel setzten dabei einen besonderen Akzent auf norddeutsche Gesichtspunkte. Aber auch länderübergreifende Themen kamen nicht zu kurz. Vertreter der beiden für die Netzanbindung der Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee verantwortlichen Netzbetreiber sowie eines Anlagenbetreibers brachten die Perspektive der Energiewirtschaft ein.
Unter zwei Tendenzen hat die Energiebranche derzeit zu leiden. Auf der einen Seite werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen immer komplizierter und kleinteiliger. Dadurch werde auch der Spielraum für die Unternehmen immer enger, meint Christian Held. Der Rechtsanwalt und BBH-Partner sprach in diesem Zusammenhang von einer Komplexitätsfalle, auf die man im Energierecht zusteuere. Auf der anderen Seite hat der Vorschlag einer „Strompreisebremse“ Anfang des Jahres in der Branche seine Bremsspuren in puncto Investitionsbereitschaft hinterlassen. Was der Energiewirtschaft fehle, sei eine planbare Perspektive, so Jörg Kuhbier, Partner of Counsel bei BBH und Umweltsenator a.D. Gerade weil in den nächsten Jahren viel Geld für den Ausbau unserer Energielandschaft in die Hand genommen werden muss, ist Planungssicherheit das „A und O“. Nur so werden sich internationale Projektierer hier auch beteiligen. Stefan Wenzel sieht dies ähnlich. Der frisch gewählte niedersächsische Umweltminister ist der Ansicht, dass Bundeswirtschaftsministerium und Bundesumweltministerium durch hektische Anpassungen der Regulierung für Verunsicherung in der Wirtschaft sorgen, gleichzeitig aber eine industriepolitische Komponente vernachlässigt wird. Dies sei beispielsweise an den zunehmenden Insolvenzen im Solarmarkt ablesbar. Rückwirkende Eingriffe in Zusagen der Vergangenheit, wie die Kürzung der EEG-Vergütungssätze, lehnt er deshalb ab. Ein zentraler Baustein der Energiewende aber ist die Netzentwicklung, davon ist Wenzel überzeugt. Um den Strom aus dem Norden der Republik in die Bundesländer im Süden und Westen zu leiten – also vom Ort der Erzeugung zum Ort des Verbrauchs – braucht es Trassen. Den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung für den Netzausbau gebe es aber nur dann, wenn die Bürger schon frühzeitig in den Prozess der Bauplanung eingebunden werden. „Transparenz schafft Akzeptanz“, sagte Wenzel.
Netze spielen auch beim Thema Offshore-Stromerzeugung eine zentrale Rolle. Durch den Bundesfachplan Offshore und den Offshore-Netzentwicklungsplan sowie die neuen Haftungsregelungen bei verzögerter Netzanbindung soll der Netzanschluss der Windparks, der in der Vergangenheit ins Stocken geriet, beschleunigt werden. Ein strukturierter Netzausbau sei nach alter Rechtslage nicht möglich gewesen, da sich der Ausbau ausschließlich nach den Realisierungsfortschritten der Offshore-Windparks orientiert habe, sagte Guido Fricke, Geschäftsführer der TenneT TSO GmbH. Erst durch die Standardisierung von Technik und Planungsgrundsätzen sowie die Festlegung der notwendigen Maßnahmen und ihrer zeitlichen Abfolge sei nun gangbarer Weg gegeben. Olivier Feix, Leiter Kommunikation/Public Affairs der 50Hertz Transmission GmbH, betonte, dass es sich anders als im Bereich Onshore bei Offshore-Windenergie immer noch um Pilotprojekte handele. Wichtig sei nun, dass keine Entwicklungspause eintrete und man aus den gemachten Erfahrungen lerne. Nur so würde sich der Markt auch wieder beruhigen. Dem konnten Christoph Mertens, CEO der DONG Renewables Germany GmbH, und die Offshore-Expertin Dr. Ursula Prall, Rechtsanwältin und Partner bei BBH, nur zustimmen. Die norddeutschen Bundesländer profitieren dabei direkt von Wertschöpfungsvorteilen und zusätzlichen Arbeitsplätzen, die sich durch die Ansiedlung der Windenergie-Branche ergeben. In Hamburg haben sich bereits Windenergieanlagenhersteller, internationale Energieversorger und Unternehmen aus dem Finanz-, Logistik- und Projektierungsbereich angesiedelt.
Der Windkraft traut auch Olaf Scholz einiges zu. Der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg ist überzeugt, dass dank der relativ konstanten Windverhältnisse vor den Küsten Offshore-Windenergie nahezu grundlastfähig sei. Gerade deshalb dürfe der Ausbau der Anlagen nicht ins Stocken geraten. Derzeit befinden sich Offshore-Windparks mit mehr als 2.000 Megawatt Gesamtleistung in Bau. Trotzdem geht die Branche davon aus, dass bis 2020 nicht die von der Bundesregierung angestrebten 10 Gigawatt installierter Leistung realisiert werden, sondern nur 6 bis 7 Gigawatt. Wo liegt das Problem? Zum Teil sind es die hohen Kosten: Mit mehr als 1 Milliarde Euro pro Offshore-Windpark überlegt man es sich zweimal, ob man hier investiert. Die Finanzierung ist außerdem recht komplex, da in der Regel eine Vielzahl von Kapitalgebern involviert ist. Hinzu kommt, dass Planung und Realisierung der Projekte langwierig sind: Bis zu zehn Jahre müssen Projektierer am Ball bleiben. Auch Olaf Scholz ist deshalb der Meinung, dass ohne sichere Rahmenbedingungen und eindeutige Rechtslage hier die erforderlichen Investitionen ausbleiben werden. „Es reicht nicht aus, dass sich fünf Politiker einigen, die Sache muss auch funktionieren“, sagte Scholz.
Das Thema Netzinfrastruktur hat immer auch eine europäische Komponente, die es zu berücksichtigen gilt. Zum einen kennt der Stromfluss keine Landesgrenzen, zum anderen ist ein europäischer Strombinnenmarkt politischer Wille der Europäischen Union. Norwegen und Schweden bieten beispielsweise gute Möglichkeiten für die Speicherung von Strom in Wasserkraftwerken. Dies könnte eine Lösung sein, den in Deutschland produzierten überschüssigen Strom aus Erneuerbaren Energien zu speichern. Das NorGer-Kabel, das zurzeit in Planung ist, könnte dabei zu einer Strombrücke werden. Aber auch andere Speichermöglichkeiten für Strom diskutierten die Konferenzteilnehmer. Der Wärmemarkt wäre beispielsweise eine Option, etwa in Form von Nachtspeicheröfen oder Power-to-Heat-Anlagen.
Auch wenn sich die politische Debatte vorrangig um die Übertragungsnetzebene dreht, darf beim Thema Netze auch die Ebene der Verteilnetze nicht fehlen. Denn Strom muss schließlich nicht nur transportiert werden. Er muss vor allem auch regional verteilt werden und beim Verbraucher ankommen. Durch Smart Grids sollen dabei Erzeugung und Verbrauch besser aufeinander abgestimmt werden. Die Erwartungen in diese Technologie sind hoch: durch Smart Grids sollen laut Europäischer Kommission unter anderem Erneuerbare Energien besser in das Stromnetz integriert werden, die Energieeffizienz verbessert, Treibhausgasemissionen reduziert und Arbeitsplätze geschaffen werden. Ob intelligente Netze wirklich diesen Erwartungen gerecht werden, dies wird auch von dem Regulierungsrahmen abhängen, der bisher noch in den Kinderschuhen steckt, meinen Stefan Wollschläger und Jan-Hendrik vom Wege, beide Rechtsanwälte und Partner bei BBH.
Fest steht: Einsatzort für Smart Grids werden in erster Linie Privathaushalte sein. Für die Verwendung in Industrie- und Wirtschaftsunternehmen fehlen derzeit sowohl Rahmenbedingungen als auch die erforderlichen Anreize. Dabei wäre aber gerade hier das Potential am größten. Der Wirtschaftssektor verbraucht immerhin 70 Prozent der Energie in Deutschland. Trotzdem – die Richtung stimmt: Der Stromverbrauch muss sich zukünftig am Angebot und damit an einer fluktuierenden Erzeugung orientieren und nicht umgekehrt. Hier müsse man mit der Flexibilisierung ansetzen, meint der Netzexperte Prof. Dr. Detlef Schulz von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. An Investitionen kommt man also auch hier nicht vorbei. Unser System der Anreizregulierung arbeitet hier allerdings eher kontraproduktiv: Der Mittelrückfluss beginnt bis zu sieben Jahre später, Erhöhung der Netzentgelte innerhalb einer Regulierungsperiode aufgrund von Investitionen gibt es grundsätzlich nicht. Rudolf Böck, Wirtschaftsprüfer und Partner bei BBH, warf deshalb die Frage auf, ob nicht auch eine Art von Regulierungswende notwendig sei, um langfristig gesicherte Renditen zu ermöglichen.
Der Umbau bzw. Ausbau unserer Energielandschaft ist eine komplexe und anspruchsvolle Aufgabe. Auf der einen Seite müssen die Erzeugungskapazitäten erweitert werden, auf der anderen Seite braucht es eine geeignete Netzinfrastruktur, damit der Strom auch fließt. Technische Aspekte sind ebenso zu bedenken wie rechtliche und ökonomische Betrachtungen. Um die Komplexität zu reduzieren, hilft vor allem eines: die richtige Koordinierung. Und koordinieren kann man nur, wenn man auch miteinander redet. Die physische Vernetzung der Stromleitungen muss auch auf einer kommunikativen Ebene fortgesetzt werden: durch den Dialog. Die 18. BBH-Energiekonferenz mit Teilnehmern aus der Welt der Erzeugung und des Netzbetriebs, aus der Energieversorgung, aber auch der Wissenschaft und der Politik, leistete hierfür einen wichtigen Beitrag. Denn, so könnte das Fazit der Konferenz lauten, gut vernetzt ist halb gewonnen.
Becker Büttner Held versteht sich als ein führender Anbieter von Beratungsdienstleistungen für Energie- und Infrastrukturunternehmen und deren Kunden. Ein besonderer Schwerpunkt liegt im Bereich der Kommunalwirtschaft. Hier berät BBH ca. 450 Stadtwerke, daneben Energieunternehmen jeder Art, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime sowie Industrieunternehmen, Investmentgesellschaften etc. Durch wichtige Publikationen sowie zahlreiche Grundsatzentscheidungen und richtungweisende Gestaltung ist es BBH gelungen, die Entwicklung der Energiewirtschaft mit zu prägen.
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- Becker Büttner Held
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