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Klimaschutzklagen – Landgericht Stuttgart verkennt die Realität
Zum Hintergrund: Klimaschutz vor den Zivilgerichten
Kürzlich hat das Landgericht Stuttgart (Urteil vom 13.09.2022 - 17 O 789/21) eine von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) eingereichte Unterlassungsklage gegen den Autobauer Mercedes Benz abgewiesen.
Die Kläger wollten das Unternehmen verpflichten, ab 2030 weltweit den Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren einzustellen, um so den Kohlendioxid-Ausstoß zu reduzieren. Geschehe dies nicht, werde das deutsche Emissionsbudget vorzeitig verbraucht. In der Folge müsse der Staat Einsparungsmaßnahmen treffen, die zu drastischen Einschränkungen der Freiheitsrechte der Kläger führen würden.
Mit der Klage und dem Urteil des LG Stuttgart ist das das öffentliche (Verfassungs-)Recht schon seit langem prägende Thema des Klimaschutzes damit nun auch im Zivilrecht endgültig angekommen. Und das Urteil ist kein Einzelfall: Am 14. Februar 2023 entschied das Landgericht Braunschweig in ähnlicher Sache (Az. 6 0 3931/21). Die Urteile zeigen: Die Durchsetzung und Berücksichtigung klimaschutzrechtlicher Belange vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit wird hart erkämpft werden müssen.
Die Klage: Vermeidung künftiger CO2-Emmissionen gefordert
Inhaltlich begehrte die DUH die Vermeidung künftiger Treibhausgasemissionen. Geltend machte sie hierfür einen auf die analoge Anwendung der §§ 1004, 823 BGB gestützten Unterlassungsanspruch.
Argumentativ vertrat die DUH die Meinung, dass die CO2-Emmissionen von BMW, Mercedes und Wintershall rechtswidrig in das die Klägerinnen und Kläger schützende allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingreife. Die hierfür erforderliche Abwägung zwischen den Interessen und Rechten der Kläger:innen mit denen des Autoherstellers falle zugunsten des Klimaschutzes aus. Argumentativ stützte sich die Klage insbesondere auf den Klimabeschluss des BVerfG vom 24.03.2021 (wir berichteten u.a. hier). Denn dieses habe betont, dass praktisch jegliche Freiheit künftig von drastischen Einschränkungen bedroht ist. Daher bestünde die „erhebliche Gefahr, dass durch die Handlungen der Beklagten eine Zeit droht, in der der Freiraum für Formung, Entfaltung und Ausdruck der eigenen Persönlihckeit im künstlerischen, sportlichen, sozialen Bereich genommen wird, weil alle dazu notwendigen Ressourcen unter anderem durch das Verhalten der Beklagten aufgezehrt worden sind.“
Hieraus folge der Anspruch auf künftige Vermeidung von CO2-Emmissionen.
Die Entscheidung: Fragwürdige Argumentation
Das Landgericht wies den Unterlassungsanspruch hingegen ab. Bereits auf Tatbestandsebene verneinte das Gericht den erforderlichen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. In der Begründung zog sich das Gericht insbesondere auf zwei Punkte zurück:
Erstens lasse sich keine Aussage darüber treffen, ob und mit welchen freiheitseinschränkenden Maßnahmen die Kläger bei einer weitergehenden Produktion von Verbrennungsmotoren zu rechnen haben. Die Folgen des Verhaltens von Mercedes auf die Lebensgestaltung der Kläger seien daher völlig ungewiss und erlaubten bereits keine notwendige Interessenabwägung zwischen den widerstreitenden Interessen und Rechten der Parteien.
Zweitens sei es zudem allein Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise zu treffen sind. Klagen gegen einzelne Unternehmen vor Zivilgerichten seien dafür nicht das richtige Forum. Aufgabe der Gerichte sei es nur, geltende Gesetze anzuwenden, nicht aber dem Gesetzgeber vorbehaltene Entscheidungen an sich zu ziehen.
LG Stuttgart drückt sich um Abwägung
Dem Urteil des LG Stuttgart kann grundsätzliche Bedeutung beigemessen werden. Nicht, weil das Gericht wichtige Rechtsfragen grundsätzlich beantwortet hat, sondern weil es eine grundsätzliche Haltung einzelner Zivilgerichte widerspiegelt.
Mit am auffälligsten ist, dass sich das LG Stuttgart mit der Anwendung der vom BVerfG aufgestellten Maßstäbe und Erkenntnisse zum Klimaschutz und den Auswirkungen des Klimawandels auf künftige Generationen nicht hinreichend auseinandersetzt – sie de facto ignoriert.
Es zieht sich auf die Position zurück, dass die in der Prüfung eines Unterlassungsanspruchs aus § 1004, § 823 Abs. 1 BGB erforderliche Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen nicht möglich sei. Die auf die unverminderten CO2-Emissionen folgenden gesetzgeberischen Maßnahmen seien zu ungewiss.
LG Stuttgart verkennt Klimabeschluss des BVerfG
Das Landgericht Stuttgart missachtet dabei die wesentlichen Aussagen der Klimabeschlusses des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 24.03.2021 (1 BvR 2656/18 u.a.) und Beschl. v. 23.03.2022, 1 BvR 1187/17). Danach ist bereits jetzt absehbar, dass bei einer hohen Emissionslast in der Gegenwart, stark freiheitseinschränkende Maßnahmen in der Zukunft unumgänglich und darüber hinaus sogar verfassungsrechtlich notwendig sind. Die Auswirkungen des Verhaltens von Mercedes auf die Freiheit der Kläger sind also keineswegs ungewiss.
Auch der Verweis auf den Gesetzgeber überzeugt nicht. Zwar wären umfangreiche gesetzliche Regelungen zur Einhaltung der Klimaziele durch Unternehmen wünschenswert – dementsprechend geht der Verweis des LG Stuttgart auf Notwendigkeit gesetzlicher Vorgaben nicht gänzlich fehl. Doch dort, wo Vorgaben durch den Gesetzgeber fehlen, können sich Gerichte nicht aus ihrer Verantwortung ziehen, jeden Rechtsstreit sachgerecht zu entscheiden. Vielmehr besteht die originäre Aufgabe von Gerichten – auch und vor allem in der ordentlichen Gerichtsbarkeit – darin, Rechtsfortbildung zu betreiben. Viele andere Fälle der Rechtsgeschichte zeigen, dass hierin oftmals auch kein Problem gesehen wird.
Klimaschutz auch mit Hilfe der Zivilgerichte
Das Urteil des LG Stuttgart macht somit vor allem eines deutlich: Das Zivilrecht kann sich nicht vor Erwägungen des Klimaschutzes verschließen. Gerade bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen oder im Rahmen gebotener Abwägungsvorgänge muss auch dort der von der Verfassung und dem BVerfG vorgegebene Rahmen zum Klimaschutz beachtet und so auch private Unternehmen in die notwendige Verantwortung genommen werden. Nur so kann die Bewältigung der Klimakrise als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gelingen. Davor dürfen sich auch Zivilgerichte nicht verschließen – insbesondere nicht mit einer derart dürftigen Argumentation wie sie das Landgericht Stuttgart jetzt angeführt hat.
Viel deutet darauf hin, dass erst der Instanzenzug durchlaufen werden muss, um ein richtungsweisendes Urteil in Sachen Klimaschutz auf zivilrechtlicher Ebene zu erhalten. Fraglich nur, ob dies genauso fortschrittlich ausfallen wird, wie die Klimabeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts 2021.
- Quelle:
- Maslaton
- Autor:
- Pressestelle
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