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FFH-Richtlinie – EuGH entscheidet zur Auslegung der Verbotstatbestände
Zur Entscheidung gestellte Fragen der FFH-Richlinie und der Vogelschutzrichtlinie
Das vorlegende schwedische Gericht hatte dem EuGH u.a. die Frage gestellt, ob sowohl die Vogelschutzrichtlinie als auch die FFH-Richtlinie Maßnahmen verbiete, „mit denen offenkundig ein anderer Zweck verfolgt wird, als Arten zu töten oder zu stören (z. B. forstwirtschaftliche Maßnahmen oder Erschließung)“ oder ob ein Verbot unabsichtlicher Tötungs- oder Störungshandlungen nur dann gelte, wenn sich diese dann auch negativ auf den Erhaltungszustand der Arten auswirken würden. Sowohl die FFH-Richtlinie als auch die Vogelschutzrichtlinie verbieten ihrem Wortlaut nach „absichtliche“ Tötungs- oder (Zer)Störungshandlungen. In seiner „Caretta-Caretta-Entscheidung“ im Jahr 2002 hatte der EuGH für die FFH-Richtlinie entschieden, dass „absichtliche“ Tötungs- oder (Zer)Störungshandlungen auch dann vorliegen, wenn die die Handlung die Tötung (bzw. Störung oder Zerstörung) besonders geschützter Arten nicht bezweckt, sondern nur in Kauf nimmt.
Schlussanträge der Generalanwältin
FFH-Richtlinie
Im nun zu entscheidenden Fall hatte die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen vorgeschlagen, zwischen beiden Richtlinien zu unterscheiden. Für die FFH-Richtlinie sah sie keine Veranlassung, den Tötungs- bzw. Absichtsbegriff einzuschränken. Die FFH-Richtlinie schütze nur besondere, in Anhang IV der Richtlinie gelistete Arten. Hier sei (weiterhin) der – womöglich auch günstige – Erhaltungszustand der betroffenen Art nicht relevant, auch nicht für unabsichtliche Tötungs- oder Störungshandlungen.
Vogelschutzrichtlinie
Für den Tötungs- bzw. Absichtsbegriff i.S.d. Vogelschutzrichtlinie sei dies hingegen anders zu sehen. Denn das Tötungsverbot der Vogelschutzrichtlinie bezieht sich auf sämtliche europäischen Vögel, also auch für – so die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen – „Allerweltsarten, denen man fast überall ständig begegnet“. Die Erhaltung von Allerweltsarten erfordere aber in der Regel keine Verbote lediglich in Kauf genommener Beeinträchtigungen. Es gäbe zwar Arten, die auf solche Verbote angewiesen sind. Doch die Allerweltsarten seien deshalb so häufig, weil menschliche Aktivitäten ihren Bestand nicht gefährden. Hinsichtlich dieser Allerweltsarten sei es wichtiger, deren Lebensräume zu erhalten und angemessen zu bewirtschaften.
Aus Sicht der Generalanwältin ist es daher nicht sinnvoll, den Begriff der Absicht i.S.d. FFH-Richtlinie uneingeschränkt auf den Begriff der Absicht i.S.d. Vogelschutzrichtlinie zu übertragen. Stattdessen sollen die Verbote der Vogelschutzrichtlinie in den Fällen, in denen die Beeinträchtigung von Vögeln nicht bezweckt, sondern nur in Kauf genommen wird, nur gelten, soweit dies notwendig ist, um diese Arten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht und dabei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung trägt.
Entscheidung des EuGH
FFH-Richtlinie
Diesen Vorschlägen folgte der EuGH auch teilweise. Jedenfalls hinsichtlich der Auslegung des Tötungsbegriffs i.S.d. FFH-Richtlinie schloss er sich dem Vorschlag der Generalanwältin an. Insoweit musste der EuGH auch nur seine bisherige Rechtsprechung bestätigen.
Auslegung der Vogelschutzrichtlinie umgangen
Aber die eigentlich spannende Auslegung des Tötungs- bzw. Absichtsbegriffs nach der Vogelschutzrichtlinie musste – oder konnte – das Gericht umgehen. Aufgrund des nationalen schwedischen Rechts sah der EuGH dies nicht als entscheidungserheblich an und hat sich hierzu daher nicht positioniert.
Daher ist nach wie vor die Frage offen, ob der strenge Tötungsbegriff der FFH-Richtlinie, der unabhängig vom Erhaltungszustand auch nur in Kauf genommene Tötungen verbietet, auf die Vogelschutzrichtlinie zu übertragen ist. Gleiches gilt für die Frage, ob damit das Unionsrecht tatsächlich schlichtweg sämtliche vorkommenden Vogelarten – Amsel Drossel, Fink und Star – sogar vor beiläufigen Tötungen schützt.
Die Vogelschutzichtlinie zwingt dabei wohl nicht zu einer derart weiten Auslegung. Jedenfalls zielt sie darauf ab, die Bestände der Vogelarten auf einem Stand zu halten oder zu bringen, „der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen wird“. Wie die Generalanwältin zudem zutreffend bemerkte, nehmen moderne Gesellschaften Tötungen dieser „Allerweltsarten“ bekanntermaßen durchaus in Kauf, etwa durch den Straßenverkehr. Eine weite Auslegung des Absichtsbegriff der Vogelschutzrichtlinie hat also weitereichende Folgen.
Fazit
Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH bald erneut Gelegenheit erhält, den unionsrechtlichen Tötungsbegriff der Vogelschutzrichtlinie in einer Weise auszulegen, die die europäische Lebenswirklichkeit berücksichtigt. Hierfür bedarf es womöglich einer eher alltagsrelevanten Tötungshandlung, die den EuGH zu einer solche Entscheidung veranlassen würde. Der hier gegenständliche Kahlschlag einer gesamten Waldfläche könnte das Risiko eher erhöhen, dass der EuGH seine strenge Ausleung der FFH-Richtlinie auf die Vogelschutzrichlinie übertragt.
Für das deutsche Artenschutzrecht und die Windenergiebranche bedeutet die aktuelle Entscheidung des EuGH im Guten wie im Schlechten: Es ändert sich einstweilen NICHTS.
- Quelle:
- prometheus
- Autor:
- Pressestelle
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