2024-12-22
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Energiewende auf Norddeutsch: Nicht lang schnacken...

Während es mit der Energiewende im Rest der Republik zunehmend stockt, trampelt man in Norddeutschland ungeduldig mit den Füßen: Dort wird bereits heute so viel Strom aus erneuerbaren Energien produziert, dass sämtliche Zukunftsziele der Bundesregierung schon erreicht werden. Deswegen haben sich nun die beiden nördlichsten Bundesländer, Schleswig-Holstein und Hamburg, zusammen geschlossen und nehmen die Dinge in die eigene Hand. Im Rahmen der WindEnergy Hamburg wurde das Projekt 'NEW 4.0' vorgestellt, die Norddeutsche EnergieWende 4.0.

Unter diesem griffigen Titel hat sich im Norden eine Innovationsallianz aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik gebildet. In einem länderübergreifenden Großprojekt soll gezeigt werden, wie die Gesamtregion mit insgesamt knapp 4,5 Millionen Einwohnern bereits 2035 – und damit 15 Jahre vor der Zielsetzung der Bundesregierung – zu 100 Prozent mit regenerativem Strom versorgt werden kann. Nicht weniger als die vierte industrielle Revolution will man durch die Digitalisierung der Industrie und die intelligente Vernetzung der Systeme im Rahmen der Energiewende anstoßen.

Das Projekt startet am 1. Dezember diesen Jahres und läuft zunächst bis 2020. Mehr als 90 Millionen Euro wurden eingesammelt, 44 Millionen Euro davon stammen vom Bundeswirtschaftsministerium, das das Projekt fördert, der Rest von verschiedenen anderen Trägern. 60 Partner aus Industrie und Wissenschaft haben sich zusammengeschlossen, darunter auch Konkurrenzunternehmen, die sich auf dem freien Markt „mit Messern bekämpfen“, wie Professor Dr. Werner Beba, Projektleiter von der HAW Hamburg, bei der Vorstellung erklärte. Doch für das gemeinsame Ziel, das Voranbringen der Energiewende, sei man bereit, sich ins selbe Boot zu setzen.

Das tun auch die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg, die jeweils hochrangige Vertreter ihrer Regierungen geschickt hatten: Aus Schleswig-Holstein reisten Robert Habeck, Energiewendeminister und Vize-Ministerpräsident, sowie Reinhard Meyer, Wirtschaftsminister, an, während Hamburg mit Senator Jens Kerstan (Umwelt und Energie) sowie Frank Horch (Wirtschaft) vertreten war. Unterstützung bekamen sie von Dr. Martin Grundmann von der ARGE Netz.

Die Idee hinter dem Projekt ist dabei simpel: Das Erzeugerland Schleswig-Holstein produziert bereits heute so viel Strom aus erneuerbaren Energien, dass rein rechnerisch die ganze Region autark mit Grünstrom versorgt werden könnte. Weil es aber im eigenen Bundesland nicht genug Abnehmer gibt, soll der überschüssige Windstrom exportiert werden – hier kommt Hamburg ins Spiel. Der Stadtstaat hat keine Möglichkeit, seinen regenerativen Strom in ausreichender Menge selbst herzustelle und ist somit ideal als Abnehmer geeignet. Die Bewältigung der Herausforderung des wachsenden Ungleichgewichts von Erzeugungs- und Lastsituation in der Region soll beispielhaft und übertragbar für andere deutsche und europäische Regionen sein, selbst im außereuropäischen Ausland könnte man sich das Modell zum Vorbild nehmen. Da es gerade in Deutschland momentan beim Netzausbau hakt, müssen nun schnell Lösungen her, um den Strom effektiv zu nutzen, denn wie Robert Habeck klarmachte: „Wir haben nicht zu viel erneuerbare Energien, wir haben zu wenig! Aber der Strom muss in die Bereiche rein, wo er gebraucht wird.“

Darauf ist die Strategie von NEW 4.0 ausgerichtet: Der Stromexport muss verbessert werden, gleichzeitig muss aber auch die energetische Selbstverwertungsquote gesteigert werden, Stichwort Sektorenkopplung. Aus diesem Grund wird nun in verschiedenste Projekte investiert, um die Energiewende dort voranzubringen, wo sie möglich ist. Man hat im Norden erkannt, dass es nicht ausreicht, über die Köpfe der Wirtschaft hinweg politische Vorgaben zu machen – diese Vorgaben müssen praxiserprobt und durchführbar sein. „Es ist sinnvoller, die Welle zu reiten, als sich ihr entgegen zu stellen“, machte der Hamburger Jens Kerstan deutlich. Man benötige ein neues Energiesystem und man wolle nun „dem Rest der Republik vormachen, wie es geht“.

Die beteiligten Wirtschaftsunternehmen investieren dabei in ein Projekt, dessen Ausgang ungewiss ist, denn die verschiedenen Einzelideen werden sich nicht alle als durchführbar und wettbewerbsfähig erweisen. Trotzdem, „das größte Risiko ist, dass es funktioniert“, brachte Habeck auf den Punkt.

Eine Idee sei es zum Beispiel, dass in den Wirtschaftsunternehmen die eigene Produktion der Stromproduktion angepasst wird – so sind unter anderem Aurubis, ArcelorMittal und trimet bei NEW 4.0 beteiligt, die enorme Mengen an Energie verbrauchen. Aber auch der Hamburger Airport und der Hafen sind mit im Boot, um zu sehen, wie sie ihren Energieverbrauch umstellen und optimieren können. Windturbinenhersteller wie Nordex und Siemens arbeiten ebenfalls an den Projekten mit. Ein Schwerpunkt dürfte auch in der Entwicklung von Langzeitspeichern liegen, man sei aber technologieoffen, betonte Beba. Man wolle sich ausprobieren und hoffe dann darauf, dass sich eine künftige Bundesregierung daran ein Beispiel nehme und die Dinge dann auch bundesweit umsetze.

Das Interesse am Projekt ist offenbar so groß, dass man einer Reihe von Interessenten auch absagen musste. An sich ein gutes Zeichen, denn es macht deutlich, dass der Wille zur Energiewende vorhanden ist. In Norddeutschland nun vielleicht noch mehr als anderswo.

Die aktuellen Partner (Grafik: NEW 4.0)

Autor:
Katrin Radtke
Email:
kr@windmesse.de
Keywords:
NEW 4.0, Energiewende, Norddeutschland, Bundesregierung, Schleswig-Holstein, Hamburg, BMWi, WindEnergy Hamburg



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